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Märkische Oderzeitung 25.03.2007

Klatsch, Tratsch und Titelrennen


Die deutschen Kleinstädter

Von Janet Neiser
Eisenhüttenstadt (GMD) Ein turbulentes und durchaus amüsantes Titelrennen durften die Eisenhüttenstädter im TheaterQuartier erleben. Dort hat die Amateurtheatergruppe des Friedrich-Wolf-Theaters "Die deutschen Kleinstädter" meisterlich auf- und vorgeführt.

Sabinchen hat die "mannbaren Jahre" erreicht. Das gute Kind soll endlich unter die Haube - so jedenfalls wollen es Bürgermeister Staar und seine Frau Mutter, die Untersteuereinnehmerin, die ganz nebenbei auch noch die genetischen Vorfahren vom Sabinchen sind. Einen Mann haben sie auch schon auserwählt - nicht irgendeinen, sondern den dichtenden Berg-, Bau- und Weginspektorsubstitut Sperling, dem bald schon die Beförderung zum Runkelrübenkommissionsassessor bevorsteht.

Was für Titel. Und Titel sind wichtig in Krähwinkel. Ohne die kommt man nicht weit in dem kleinen Städtchen - da gibt es neben des Bürgermeisters schräger Sippschaft das Tantchen Oberfloß- und Fischmeisterin beispielsweise noch die Frau Stadtakzisekasseschreiberin, und alle zusammen sorgen für jede Menge Klatsch, Tratsch und Silbensalat. "15 Silben vor den Namen, nur dann zählt man was." Sabine kennt die Titelsucht nur zu gut.

Doch Titel hin, Titel her. Diesen Sperling, dieses zarte Persönchen, diesen lebensfernen und naiven Romantiker, den mag die junge Frau so gar nicht leiden. Und lieben? Oh weh, welch´ Albtraum. Als "kranken Kanarienvogel" bezeichnet sie ihn. Doch des Bürgermeisters Mutter ist das völlig egal. Dafür habe der zukünftige Schwiegersohn in spe schließlich jede Menge "Krautland" und ein "Erdbegräbnis vor der Kirche" sicher. Was will Frau mehr? Genau das macht sie doch glücklich, "Die deutschen Kleinstädter" in Eisenhütten..., pardon, Krähwinkel.

Das gleichnamige Lustspiel von August von Kotzebue (1761-1819) erlebte unter Regie von Frank Radüg seine Premiere im TheaterQuartier. Mit viel Herz sowie sympathischer Frische entführte die Amateurtheatergruppe des Friedrich-Wolf-Theaters das Publikum in die beschränkte Welt der profilierungssüchtigen Kleinstädter. Und in diese Welt kehrt Bürgermeistertochter Sabine, wundervoll kokett von Isabell Dobisch-Döhmer dargestellt, nach einem Aufenthalt in der Residenzstadt zurück - mit dem Foto ihres Geliebten in der Tasche. Karl sein Name, Karl Olmer. Ganz einfach. Kein Titel, kein Krähwinkler, kein Gernegroß. Nur ein gut aussehender Kerl, der zwischen all den schrillen Provinzhengsten und Klatschweibern geradezu angenehm normal wirkt.

Aus Männermangel in der Eisenhüttenstädter Theatergruppe steckt der Karl aber im Frauenkörper von Hjördis Thielecke. Doch die steht ihren Mann während der etwa 80 Minuten durchaus überzeugend und sorgt dabei für einige Verwirrungen, Turbulenzen und Fast-Ohnmachtsanfälle bei des Bürgermeisters Mutter (Heike Weise). Die Alte trägt ihr Temperament und ihren Titel auf der Zunge - sogar, wenn sie in grauen Wollsocken und im geblümten Nachthemd auf die Bühne stürmt. Die ist zwar ebenso beengt wie die Welt der Krähwinkler, aber hier zeigt sich, welch Horizonte Fantasie und Liebe zum Detail öffnen können. Eine simpel erscheinende dünne Kunststoffkulisse mit einigen Fenstern (Bühnenbildbau: Lutz Koppenhagen), die fast schon an eine gemütliche Puppenstube erinnert, ein paar Lichteffekte sowie Musik dazu. Fertig ist das Reich von Runkelrübenkommissionsassessor und Co., fertig ist Unterhaltung mit Niveau, mit witzigen Wortspielen, einer wohldosierten Prise Klamauk und ohne Effekthascherei auf Teufel komm raus.

Der Hahn im Korb des zehnköpfigen Darstellerteams, das seit September an dem Lustspiel "Die deutschen Kleinstädter" übte, heißt Lars Kockzius. Der mimt - natürlich standesgemäß - das Familienoberhaupt, den Bürgermeister. Und der gerät zur Belustigung des Publikums bei diesem Titelrennen und unter den Fittichen eines Hausdrachens mächtig ins Schwitzen. Nach und nach entpuppt sich das vermeintlich selbstbewusste Großmaul jedenfalls als erbärmliches Muttersöhnchen, das lediglich die Glühbirne in der Straßenlaterne herumkommandieren kann und von einer entlaufenen Diebin, der Angst vor Skandalen sowie der kleinkarierten Borniertheit in Krähwinkel in die Knie gezwungen wird - kurzzeitig.

Am Ende herrscht Friede, Freude, Eierkuchen. Es wird geschleimt und getratscht wie eh und je und Sperling (Ellen Finke), der zwar bald einen neuen Titel, aber doch kein Sabinchen bekommt, hat sogar noch seinen großen Auftritt. Er trällert mit piepsiger Stimme ein Sonett. So nett! Dass die etwa 90 Zuschauer, die Kotzebues satirische Komödie verfolgten, die Darsteller zwei mal auf die Bühne zurück applaudieren. Zu Recht.

Was hier in der Freizeit auf die Beine gestellt wurde, ist nicht nur äußerst unterhaltsam, sondern da lohnt es sich, den Hut zu ziehen. Klar, ist es Amateurtheater, aber klar ist auch, dass der Frankfurter Regisseur Frank Radüg hier in den vergangenen Jahren ein kleines Juwel zum Glänzen gebracht hat, das der Kulturszene in Eisenhüttenstadt gut tut.
"Spätestens im Juni wollen wir das Stück im Rahmen der Theatertage noch einmal aufführen", verspricht Friwo-Chefin Isabell Dobisch-Döhmer. Spätestens! Vielleicht kehren "Die deutschen Kleinstädter" sogar schon vorher zurück. Hoffentlich.


Montag, 26. März 2007 (08:54)

 

 


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